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Kurt Simmchen - galizier
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Ukraine

Eine Analyse

Beitrag von Kurt Simmchen - galizier »

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Ausgabe 63 | Januar 2014
Das russische Hilfspaket:

Kurz- und mittelfristige Implikationen

Am 17. Dezember 2013 hat die Ukraine eine Reihe von Vereinbarungen mit Russland unterzeichnet, mit dem Ziel, die finanzielle Lage des Landes zu stabilisieren. Der Gesamtwert des Hilfspakets beträgt ca. 18 Mrd. USD: Ein gewaltiger Betrag für die Ukraine (10% des BIP), aber auch eine erhebliche Summe für Russland. Das Paket beinhaltet Kredite im Wert von 15 Mrd. USD sowie einen Gaspreisrabatt, welcher 2014 einen Gegenwert von ca. 3 Mrd. USD hat. Dazu
kommen Erleichterungen im bilateralen Handel und ein Investitionsabkommen. Das Hilfspaket stellt sicher, dass die Ukraine kurzfristig in finanzieller Hinsicht stabilisiert wird; der befürchtete Default sowie eine unkontrollierte Abwertung konnten also abgewendet werden. Allerdings trägt das russische Hilfspaket nicht zur Lösung der fundamentalen Probleme der Ukraine, nämlich zum Abbau des Haushalts- und des Leistungsbilanzdefizits bei, welche 2013 bei ca. 8% des BIP lagen. Insofern löst das Hilfspaket nicht die Probleme, es stellt lediglich ihre kurzfristige Finanzierung sicher. Mittelfristig, d.h. nach den Präsidentschaftswahlen im März 2015, wird die Ukraine nicht nur erneut mit massiven Ungleichgewichten, sondern auch mit einer gestiegenen Staatsverschuldung konfrontiert werden. Insofern ist das Hilfspaket aus mittelfristiger Sicht als problematisch zu bewerten. Die Ausgangssituation Die seit längerem angespannte wirtschaftliche Situation in der Ukraine hat sich insbesondere in der 2. Jahreshälfte 2013 noch einmal verschärft. Die signifikanten Zwillingsdefizite („twin deficits“) in Leistungsbilanz und öffentlichem Haushalt sind dabei auf Werte angestiegen, welche aus eigener Kraft nicht mehr finanzierbar waren. Entwicklung von Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizit Quelle: IWF, *Schätzung Gespiegelt wurden diese Entwicklungen in der Abnahme der Devisenreserven der Nationalbank, welche Ende November 2013 nur noch 18,8 Mrd. USD betrugen, was eine Importdeckung von lediglich 2,2 Monate impliziert. Angesichts dieser dramatischen
Situation bestand keine Alternative zu einer Unterstützung durch externe Kreditgeber, wollte man einen Staatsbankrott („Default“) und eine wahrscheinlich damit verbundene unkontrollierte Abwertung der Hryvnia verhindern. Konkret ließen sich dabei zwei grundsätzliche Szenarien zur Stabilisierung unterscheiden: Ein neues Kreditprogramm mit dem IWF (inklusive Konditionalität) oder finanzielle Unterstützung aus Russland. Das russische Hilfspaket vom 17. Dezember 2013
Durch die von den Präsidenten Putin und Janukowitsch am 17. Dezember 2013 unterzeichneten Vereinbarungen ist nun das Szenario „finanzielle Unterstützung aus Russland“ eingetreten. Das russische Hilfspaket umfasst eine Reihe von Abmachungen in verschiedenen Bereichen; nachfolgend seien aber die wichtigsten Punkte kurz erläutert: Kurzfristige Kredite im Umfang von 15 Mrd. USD Russland kauft ukrainische Anleihen im Gesamtumfang von 15 Mrd. USD, wobei der Großteil der Mittel aus dem Staatsfonds fließt. Diese Summe wird allerdings nicht auf einen Schlag an die Ukraine überwiesen, vielmehr werden die Käufe in einzelnen Tranchen erfolgen, wobei eine zeitliche Präzisierung bisher nicht erfolgte. Marktbeobachter vermuten, dass mit dieser Maßnahme die staatlichen Finanzierungserfordernisse bis etwa März 2015 gedeckt werden können, d.h. bis zu den dann anstehenden Präsidentschaftswahlen. Die erste Tranche von Anleihen in Höhe von 3 Mrd. USD wurde im Dezember 2013 begeben. Die Anleihen sind als Eurobonds mit einem Kupon von 5%
p.a. strukturiert, und an der irischen Börse notiert. Auffällig ist die kurze Laufzeit von 2 Jahren, die auch bei späteren Tranchen vorherrschen soll. Dies impliziert, dass bereits Ende 2015 mit der Tilgung begonnen werden muss.

Gaspreisrabatt
Der Preis der russischen Gaslieferungen an das staatliche Unternehmen Naftogaz wird ab dem 01. Januar 2014 auf 268,5 USD/1000 m3 gesenkt (entspricht einem Rabatt von 138 USD bzw. leicht über 30% im Vergleich zum bisherigen Preis). Diese Preissenkung muss allerdings jedes Quartal aufs Neue von beiden Vertragsparteien bestätigt werden, was einen beträchtlichen Hebel für die russische Seite darstellt. Nähere Informationen bezüglich der vereinbarten Liefermengen sind nicht bekannt.

Erleichterung des bilateralen Handels
Die seit längerem bekannten Probleme beim Marktzugang ukrainischer Exporteure sollen einvernehmlich gelöst werden. Dies ist wichtig für bestimmte Erzeugnisse, insbesondere Stahlrohre, Eisenbahnwagons sowie Schokolade.

Investitionen
Bestimmte gemeinsame Investitionsprojekte in verschiedenen Branchen sollen vorangetrieben werden.

Gesamtpaket
In der Summe stellt das russische Hilfspaket einen Gesamtbetrag von bis zu 18 Mrd. USD zur Verfügung, was ein signifikanter Betrag für die Ukraine ist (ca. 10% des BIP) – dies gilt allerdings prinzipiell auch für die russische Seite, die diese Summen in relativ kurzer Zeit aufbringen muss. Einschränkend muss aber vermerkt werden, dass sowohl die Finanzhilfen, als auch der Gaspreisrabatt graduell gewährt wer-den, d.h. die Ukraine über die gesamte Laufzeit der Vereinbarungen komplett auf den „good will“ Russ-lands angewiesen ist.
Kurz- vs. mittelfristige Implikationen des Hilfspakets
Das russische Hilfspaket ist in erster Linie ein Finanzpaket. Die Mittel aus Russland erlauben es der Ukraine, die Zwillingsdefizite in Leistungsbilanz und im öffentlichen Haushalt kurzfristig zu finanzieren, und somit ein Default und eine unkontrollierte Abwertung zu verhindern.
Diese kurzfristige Wirkung des Pakets wurde von den Finanzmärkten sehr positiv aufgenommen. Die Zinsen ukrainischer Eurobonds sind stark gefallen, vor allem im kurzfristigen Bereich (von 12% auf 7%). Die Rating-Agentur Standard & Poor‘s hat als Folge des Hilfspakets den Ausblick für die Ukraine verbessert (von „negativ“ auf „stabil“).
Das Hilfspaket löst aber in keiner Weise die grundlegenden makroökonomischen Probleme der Ukraine. Der Gaspreisrabatt wird zwar sowohl die öffentlichen Finanzen als auch die Leistungsbilanz um ca. 3 Mrd. USD bzw. 1,5% vom BIP entlasten. Trotzdem dürften die Zwillingsdefizite 2014 kaum zurückgehen. Dies gilt umso mehr, als im März 2015 Präsidentschafts-wahlen vorgesehen sind, die wahrscheinlich zu höheren Staatsausgaben führen werden.
Das russische Hilfspaket beinhaltet also eine Finanzierung der Zwillingsdefizite, aber keine Maßnahmen um die Höhe der Defizite zu reduzieren und damit die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Situation zu sichern. Darin besteht der entscheidende Unter-schied zu einem typischen IWF-Programm, dessen Kern ein Anpassungsprogramm darstellt, welches existierende Ungleichgewichte in Form von Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite nachhaltig abbaut. Der begleitende Kredit sorgt dabei dafür, dass die Anpassung in einem geordneten Rahmen erfolgt.
Somit fällt die Bewertung des russischen Pakets aus mittelfristiger Perspektive eindeutig negativ aus. Mitte 2015, d.h. nach den Präsidentschaftswahlen, wird die Ukraine nicht nur erneut mit dem Problem massiver Ungleichgewichte konfrontiert, sondern auch mit einem gestiegenen Schuldenstand. In Folge des russischen Hilfspakets wird die Staatsverschuldung nach Expertenschätzungen von etwa 40% auf ca. 50% vom BIP ansteigen und damit einen sehr hohen Wert für ein Land wie die Ukraine erreichen.
Fazit
Die Ukraine lebt seit einiger Zeit deutlich über ihre Verhältnisse; eine ökonomische Anpassung, so wie vom IWF verlangt, ist daher unerlässlich. Der Ukraine ist es jedoch gelungen, mit russischen Finanzhilfen die finanzielle Lage zu stabilisieren und die notwendige Anpassung in die Zukunft zu verschieben. Auf den ersten Blick scheint dies ein guter Deal zu sein.
Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass dies eine problematische Sichtweise ist. Die grundlegenden Probleme werden keineswegs gelöst. Damit verliert das Land Zeit und akkumuliert weitere Schulden, die eine Lösung der Probleme in 2015 erheblich erschweren.
Schließlich sei darauf verwiesen, dass nach Meinung von Beobachtern die Vereinbarungen vom 17. Dezember eventuell Zugeständnisse von ukrainischer Seite beinhalten, über deren Inhalt jedoch nichts bekannt wurde. Insofern trägt die hier vorgenommene Bewertung möglicherweise noch keinen ab-schließenden Charakter.

Autoren
Robert Kirchner, kirchner@berlin-economics.com
Dr. Ricardo Giucci, giucci@berlin-economics.com
Die Deutsche Beratergruppe

Die Deutsche Beratergruppe berät seit 1994 Entscheidungsträger der ukrainischen Regierung bei der Lösung aktueller Probleme der Wirtschaftspolitik. Sie wird im Rahmen des TRANSFORM-Nachfolgeprogramms der Bundesregierung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie finanziert.
Herausgeber Dr. Ricardo Giucci, Robert Kirchner

Impressum Deutsche Beratergruppe c/o BE Berlin Economics GmbH Schillerstraße 59, D-10627 Berlin Tel: +49 30 / 20 61 34 64 0 Fax: +49 30 / 20 61 34 64 9 info@beratergruppe-ukraine.de Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ...

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