mbert hat geschrieben:Ich glaube, gerade jene Gruppe von Menschen, die kein Internet nutzen, die auch keine Zeitung lesen, macht einen im Vergleich zu Deutschland recht großen Anteil aus.
ok. lassen diese sich dann aber durch Menschen beeinflussen, die sich anderswo informieren? Ich kenne eigentlich keinen Ukrainer, der nicht weiß, dass ukrainische Politiker korrupt sind und lügen, wo sie nur können.
Die Meinungsbildung findet doch vor allem in persönlichen Gesprächen statt und dabei zählt das Wort von Nachbar Mykola oder dessen so über das Internet informierten Kindern wesentlich mehr, als das, was im Fernsehen erzählt wird.
mbert hat geschrieben:
Die wirtschaftliche Situation verschlimmert die Situation, sicher auch, dass nach dem Untergang der СССР immerhin vorher noch vorhandene Infrastruktur zur kulturellen Bildung (z.B. Musikschulen etc.) wegfiel. Es ist immer ein wenig Spekulation dabei, aber ich habe den Eindruck, dass aktuell ein überdimensional großer Teil der Menschen einer gewissen Primitivierung unterliegt.
Hm, sagen wir mal so: diejenigen, die sich kultivieren und bilden konnten, versuchen ins Ausland oder wenigstens in die Großstädte zu kommen (ein Prozess der nicht nur in der Ukraine vor sich geht). In der Provinz bleiben dann größtenteils Leute übrig, die nach den Maßstäben der "gebildeten und kultivierten" primitiv sind.
mbert hat geschrieben:
Handrij hat geschrieben:
Im Fernsehen gibt es durchaus Alternativen und ich würde nicht so weit gehen und behaupten, dass alles gleichgeschalten ist. Das ist Julia-Propaganda. Neben dem 5. Kanal, der auch analog empfangbar ist,
Ist das so? Gerade Kanal 5 hat ja letztes Jahr erst analoge Frequenzen verloren, und der Nutznießer war - wie sollte es auch anders sein - Inter.
Meines Wissens nach hat Inter nur insofern profitiert, als dass die (Zusatz-)Frequenzen neu vergeben werden sollen, also nur indirekt. Die Frequenzen wurden aber auch erst im Januar vergeben, das sollte bei dem ganzen Vorgang nicht vergessen werden! Der Fünfte Kanal plante dabei auch eher einen zusätzlichen Sender zu gründen.
mbert hat geschrieben:
Ich bin gespannt, mal Schuster zu erleben (wobei ich des russischen leider nicht so gut mächtig bin). Wie weit diese Offenheit geht, ist freilich diskutabel. Ich erinnere mich an einige Kritik daran, dass in solchen Talkshows vor allem Krawall-Opposition wie z.B. Svoboda eine Bühne geboten wird, was auch letztlich dazu beigetragen haben mag, dass die einen so schnellen Anstieg an Stimmen bekamen.
Ok, es ist eine Talkshow. Dennoch können Turtschinow, Timoschenko, Sobelew, Korolewskaja usw. dort auftreten und ihre Sichtweise darlegen.
Mehr ukrainisch ist bei ICTV. IMHO ist Kulikow auch der kompetenteste der Moderatoren und diese Sendung ist auch nicht so lang wie die übrigen. Heute um 22:53 ukrainischer Zeit geht es wieder los ...
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mbert hat geschrieben:
Was das Arge in den ukrainischen Medien betrifft, sollte man sich nicht davon blenden lassen, dass z.B. Український Тижден oder Україна Молода noch recht ungestört arbeiten können. In der Regierung sitzen nicht nur Idioten, sie wissen nur zu gut, dass es ihnen im Moment viel mehr nützt, solche ohnehin auflageschwachen Blätter in Ruhe zu lassen (was sich auch immer noch gut als Argument eignet, jegliche Einflussnahme generell abzustreiten) und stattdessen die Massenmedien unter Kontrolle zu bringen (oder "subtil" zu beeinflussen). Gerade die Einflussnahme, die man als Konsument zunächst nicht bemerkt, ist die wirksamste.
ok, man kann sich ein paar Feigenblättchen halten. In Russland werden Echo Moskwy (im Gasprom-Besitz) und die Nesawissimaja Gaseta auch nicht geschlossen. Dennoch ist selbst Segodnja (Achmetow-Blatt) aufgrund der immer noch existierenden Vielfalt dazu gezwungen auch regierungskritische Sachen zu bringen und das würde ich nicht unterschätzen. Der ländliche Raum der Ukraine, und da muss ich dir zustimmen, ist aber dennoch gänzlich auf das Fernsehen angewiesen und somit von den meisten Diskussionen abgehängt.
Was die subtile Beeinflussung angeht, so können wir das wohl nicht beurteilen, da man hierzu im MEdienbetrieb drin stecken muss. Ziemlich oft gibt es aber Klagen - von allen Seiten (Regierung/Opposition/Journalisten) - über so genannte "Jeansy"=bezahlte Artikel, welche nur die Meinung des Auftraggebers verbreiten. Dies scheint, unabhängig vom administrativen Druck, das größere Problem der ukrainischen Zeitungslandschaft zu sein. Btw. mein Eindruck aus den ukrainischen Nachrichten ist, dass so etwas wie "administrativer Druck" eher auf lokaler Ebene stattfindet, als in den ukraineweiten Zeitungen. Die Lokalfürsten sind es wohl vornehmlich, die nach der Machtübernahme völlig abdrehen und wenn in einer Kleinstadt der Journalist XY von der örtlichen Miliz oder der Steuer belästigt wird, dann interessiert das zumeist keinen.
mbert hat geschrieben:
Handrij hat geschrieben:
Ja, das sind die Leute im Osten auch, die sind schlichtweg konservativ. Ob sie nun Kommunisten oder Partei der Regionen wählen. Ich sehe da keinen großen Unterschied zu Bayern ...
OK, wo ist denn deren politische Überzeugung? Und für welche politischen Ideen steht denn die PR? Ich sehe da einen ganz gewaltigen Unterschied zu Bayern (obwohl ich deren Wahlverhalten auch nicht gerade schätze).
Politische Ideen: man könnte jetzt die ganzen Punkte aufzählen, wie die Russlandbeziehung, NATO usw. doch am Ende ist die PR selbst da völlig diffus. Ihre Wähler verbinden aber wohl Russlandnähe, NATO-Ablehnung, Zentralisierung, starker Staat, soziale Unterstützung/Gerechtigkeit, eher sowjetisches Geschichtsbild, Förderung des Russischen mit der Partei der Regionen. Am Ende machen die Regionalen ja dann doch was sie wollen. Es ist ähnlich wie mit der Linkspartei in D-Land. Das, womit die Partei in D-Land von ihren Wählern assoziiert wird, ist nicht das, was die Partei macht. Siehe Berlin, siehe Wikileaks und Gysis´ NATO-Äußerungen. Das ist doch das gleich Spielchen. Bei der CSU ist da natürlich mehr Nähe zu den programmatischen Punkten zu sehen, doch letztendlich machen die auch das, was Macht und Wählerstimmen bringt.
mbert hat geschrieben:
Handrij hat geschrieben:
Zudem unterscheidet sich das Verhalten der Ostukrainer nicht wesentlich von dem der Westukrainer. Du hast überall deine Clans und die "eigenen" werden gewählt.
Julia ist aus Dnipro, VJu ist aus irgendeinem ostukrainischen Dorf, überhaupt hattest Du im Westen bei der Präsidentenwahl nennenswert Stimmen für so ziemlich alle Kandidaten außer Janukowytsch. Bis hin dazu, dass viele bei der Stichwahl gegen alle stimmten, weil sie mit Julia nicht mehr einverstanden waren. Da kann ich kein Clan-Verhalten erkennen.
Ja, woher die Leute letztendlich stammen ist auch egal, Hauptsache die richtige Rhetorik wird bedient. Bei der PR sind auch Hanna Herman (Lwiw), Nestor Schufritsch (Ushhorod), Taras Tschornowil (Lwiw) ganz oben mit dabei.
mbert hat geschrieben:
Nun, das ist ein klassisches Beispiel für die sehr schwach ausgeprägte Parteienlandschaft in der Ukraine. Es geht oft mehr um Personen als um Wahlprogramme. Dennoch kannst Du im Westen eine nennenswerte Beschäftigung der Wähler mit dem, was zur Wahl steht, beobachten, während im Donbass-Becken brav 90% der Leute ihr Kreuz bei der PR machen. Mit jedem Satz, den Du schreibst, bestätigst Du meine Argumentation
Ich glaube nicht, dass die Julia Wähler sich mit dem Programm von ihr auseinandergesetzt haben. Auch bei Juschtschenko war das so. Es sind eben die als "eigene" anerkannten Politiker die Unterstützung genießen. Das merkte man auch immer an den Wahlkampagnen. Da wurde auf Gefühle gesetzt und nicht auf Argumente oder Programmbestandteile.
Die 90% der PR sind natürlich gefälscht, ganz zu schweigen von der Wahlbeteiligung und zur Erinnerung: die PR gibt es zwar seit 1997, doch ist sie erst seit 2004 erfolgreich! Im Prinzip ist es den ostukrainischen Eliten mit der Partei der Regionen gelungen ein Parteiprojekt zu schaffen, welches im Osten und Süden der Ukraine dominiert und damit eine gewisse Machtkonstanz garantiert. Deswegen halte ich den CSU Vergleich für so treffend, da diese auch vornehmlich einfach eine Partei der Macht ist. Die Gegenseite hat es aufgrund ihrer Streitigkeiten nicht geschafft ein Gegengewicht zu etablieren. Nascha Ukrajina fing vielversprechend an und zerfiel und der Block Julia Timoschenko ist auch gerade auseinandergefallen. 2007 war allerorts vom Beginn des Entstehens eines Zweiparteiensystems die Rede, doch ist das wohl nicht mehr zutreffend. Meines Erachtens nach ist auch die Kontinuität durch die PArtei der Regionen einer der Hauptursachen für den Erfolg Janukowitschs. Die Leute sind auch der ständig wechselnden Parteiprojekte überdrüssig.
mbert hat geschrieben:
Handrij hat geschrieben:
Hier gibt es von beiden Seiten Animositäten, klar, doch scheint mir die Abneigung und Kompromisslosigkeit von westukrainischer Seite größer zu sein.
Das mag so sein. Wir hatten das ja auch schon an anderen Stellen diskutiert. Man mag als außenstehender diese Russlandfeindlichkeit als überzogen oder ungerechtfertigt empfinden, aber aus der Sicht der Menschen in Galizien ist sie logisch und verständlich. Die Okkupation durch Stalin liegt gerade mal 70 Jahr zurück, und was damals alles so passiert ist, ist nicht in den paar Jahren alles vergessen. Wenn Russland selber oder auch prorussische Ukrainer bereit wären, die Ereignisse der frühen 40er Jahre als Verbrechen anzuerkennen, statt immer nur auf dem angeblich faschistischen Charakter des ukrainischen Widerstands herumzureiten, wäre ja eine Grundlage für eine Versöhung und gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte gegeben. Solange das aber nicht von beiden Seiten (klar, auch von Seite der Westukrainer) kommt, können wir noch lange darüber die Köpfe schütteln, ohne dass sich etwas ändern wird.
Ok, ich glaube aber schon, dass Stalin bei der Partei der Regionen keine großen Sympathien genießt. Einzig die Rentner der Kommunisten glauben noch an den Lenker des Volkes und bestreiten die Verbrechen damals. Was die Vertreter der Regionalen aber hervorheben ist, dass es eben Stalin war, der die Ukraine (abgesehen von der Krim) in ihrer jetzigen Zusammensetzung erst schuf. Dafür muss niemand Dankbarkeit zeigen, aber es ist eine historische Tatsache und sobald das erwähnt wird sehen die Patrioten rot. Ohne die Annektion Stalins würde es heute keine westukrainischen Oblaste geben, sondern nur ostpolnische Wojewodschaften oder slowakische/ungarische Verwaltungseinheiten oder sogar ein unabhängiges Galizien, was weiß ich. Es ist verfahren und es wird eben auch keinen Konsens bei der Bewertung der UPA in der gesamten Ukraine geben. Trotzdem müssen die Leute in einem Land miteinander auskommen und da gilt es Wege zu finden, statt sich weiterhin gegenseitig ein falsches Geschichtsbild vorzuwerfen. Ok, wir reden uns hier wieder den Mund fusslig bzw. schreiben uns die Finger wund, über ein Problem, welches nur andere Leute lösen können.
mbert hat geschrieben:
Dass die Moskali an vielem schuld sind, versteht sich von selbst (siehe oben)

Aber mal im Ernst - dass die Ukrainer ihre Bananenrepublik selber zu dem gemacht haben, was sie ist, dass wird Dir in Lviv und Ternopil kaum einer abstreiten.
Ok, beim Durchschnittsukrainer ja, aber von den Patrioten braucht man da keine Unterstützung zu erwarten. Der wird weiter darauf beharren, dass die Moskowiter alles verderben und die Ukraine am Leben und der Entwicklung hindern.
mbert hat geschrieben:
Aber darauf will ich doch die ganze Zeit hinaus! VJu ist kein Westukrainer. Er steht für eine ganz andere, bewusst gewählte, politische oder nenn es auch intellektuelle Westorientierung. Für einen Westukrainer ist das nicht das gleiche, der fühlt sich als Europäer auf die Welt gekommen. Bloß weil ein paar Politiker den Menschen den Himmel auf Erden in Europa versprechen, ist das noch lange nicht die Sicht von Europa, die J.A. vertritt.
Er hat aber die nationalpatriotische Rhetorik der Westukrainer bedient oder zu bedienen versucht. Diese Rhetorik hat er sich ja nicht selbst ausgedacht ....
mbert hat geschrieben:
Die Teilung des Landes (West-Ukraine bei Polen bzw. K.u.K., und der Rest bei Russland) hat hunderte von Jahren gedauert, es ist völlig normal, dass es da Unterschiede gibt.
ok
stefko hat geschrieben:Handrij hat geschrieben:
Ich verstehe trotzdem das Problem nicht. Das ist doch immer so, dass die Assoziationen, die die Leute mit einem Namen haben, nicht unbedingt repräsentativ für das ganze sind. Wer assoziert mit Afrika gleich Algerien und nicht, sagen wir den, Kongo. Mit den USA, Montana und nicht New York. Mit Europa Albanien und nicht Deutschland, usw.
Ok, dann ist mein Problem vornehmlich die Ungenauigkeit

Mit Asien wird vornehmlich Russland gemeint und Russland mit der Mongolei bzw. besser mit Dschingis Khan assoziiert. Man spricht es aber nicht aus und versteckt sich hinter dem Begriff "Asien".
stefko hat geschrieben:
Sie selber haben bei Asien ja lustigerweise auch Länder genannt, die einem Westeuropäer zu Asien vielleicht als erstes einfallen - und nicht, sagen wir, den Iran.
Die von mir genannten Länder repräsentieren den wirtschaftlich entwickelten Teil von Asien, der mit dem in der Ukraine verwendeten Asienbild nicht korreliert.