Dabei erwähnte sie einen alten Fund ukrainischer Sprache, den ich vor dem Hintergrund der hier oft stattgefundenen Diskussionen um die ukrainische Sprache (Sprache oder Dialekt? "Erfindung" von Hruschewski oder Schewtschenko?) sehr interessant fand. Da ich ja selber kein Linguist bin, bin ich ja immer auf solche Hinweise angewiesen und dafür natürlich sehr dankbar.
Es geht um die Gramatika česká, also eine tschechische Grammatik, die Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... im 16. Jahrhundert verfasst hat. In diesem Buch befinden sich auch diverse Beispiele anderer slawischer Sprachen und u.a. auch folgendes Lied:
das gesamte Buch von Jan Blahoslaw kann man übrigens Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ..., der Text befindet sich auf Seite 341.Dunaju, Dunaju, čemu smuten tečeš?
Na werši Dunaju try roty tu stojú,
Perwša rota Turecká,
Druhá rota Tatarská,
Treta rota Wołoská,
W tureckým rotě šablami šermujú,
W tatarským rotě strylkami strýlajú,
Wołoským rotě Štefan wyjwoda.
W Štefanowy rotě dywoňka płačet,
I płačuci powídała: Štefane Štefane,
Štefan wyjwoda, albo mě půjmi, albo mě liši,
A što mi rečet Štefan wyjwoda?
Krásná dywonice, půjmił bych tě dywoňko,
Nerownáj mi jes, líšił bych tě, milenka mi jes.
Šta mi rekła dywonka: Pusty mne Štefane,
Skoču já w Dunaj, w Dunaj hłuboký,
Ach kdo mne dopłynet, jeho já budu.
Něcto ně dopłynuł krasnu dywoňku.
Dopłynuł dywoňku, Štefan wyjwoda,
I wzał dywoňku zabił ji u ručku:
Dywoňko, dušenko, milenka mi budeš.
Hier haben wir natürlich eine tschechische Transkription. Auf Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... haben sie sich die Mühe gemacht, das Ding auf ukrainisch-kyrillische Schrift umzuschreiben:
Es gibt übrigens auch eine Bearbeitung von Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ...:Дунаю, Дунаю, чему смутен течеш?
На версі Дунаю три роти ту стою?
Первша рота турецка,
Друга рота татарска,
Третя рота волоска.
[...]
Ich finde dieses Beispiel sehr interessant, weil es offenbar gesprochene Sprache wiedergibt. Das Problem ist ja bei slawischen Sprachen oft, dass zu jener Zeit die Schriftsprache typischerweise stark von der gesprochenen Sprache abwich (z.B. war es in geistlicher, aber auch in wissenschaftlicher Literatur immer noch verbreitet, in kirchenslawisch zu schreiben) und daher schwer rekonstruierbar war, welche Sprachen wo zu welcher Zeit gesprochen wurden, wodurch wiederum ein ewiger Streit existiert, welche Sprache nun "Dialekt" welcher anderen sei, bzw. wie alt Sprachen in ihrer heutigen Ausprägung sind.Дунаю-Дунаю, чему смутен течеш?
[Ой як же Дунаю смутному не течи,
Що дно його точуть студені криниці,
А посередині та рибоньки мутять],
На версі Дунаю три роти ту стою?
Первша рота турецка,
Друга рота татарска,
Трета рота волоска.
[...]
Wer ein wenig Ukrainisch versteht, wird diesen Text in Grundzügen recht problemlos verstehen, ich finde ihn modernem Ukrainisch fast schon frappierend ähnlich (wenn man z.B. mittelalterliches Deutsch mit dem heutigen vergleicht, sind die Unterschiede mitunter größer). Was dieser Text freilich nicht beweist, ist, in welchen Regionen diese Sprache typischerweise gesprochen wurde. Allerdings finde ich, macht er deutlich, dass das heutige Ukrainisch keineswegs eine "synthetische" Sprache ist, wie es von patriotisch-russophilen Wissenschaftlern gern mit Verweis auf die schon oben erwähnten Herren Hruschewski und Schewtschenko behauptet wird, sondern in wesentlichen Zügen bereits im 16. Jahrhundert existiert hat.