Handrij hat geschrieben:Viele konkrete Berichte dazu gibt es nicht. Die Handelsketten zwischen der Terrorzone und dem restlichen Staatsgebiet scheinen weitestgehend zu funktionieren. Das heißt die Supermärkte arbeiten und du kannst Austern in Donezk essen, wenn du Geld hast. Übrigens gibt es auch weiter Roshen-Produkte in der Terrorzone.
Es ist ja ohnedies ein interessantes Phänomen, daß die Versorgung mit Lebensmitteln und auch Luxusgütern in den "Volksrepubliken" sehr wohl funktioniert. Es gibt halt nur viele Menschen ohne Geld, die vor den Geschäften stehen und diese Produkte nicht kaufen können. Die berühmten weißen LKWs bringen ja Lebensmittel, Waffen und Munition. Hast Du nicht auch schon mal einen Bericht zitiert, daß dort die Lebensmittelpreise sogar tiefer sind als im Rest der Ukraine? Frei nach dem Motto: Die LKWs helfen, die Menge auf der Angebotsseite zu erhöhen. Diese Volksrepublik vermag aber nicht, eine funktionierende Wirtschaft aufzubauen. Einen Ministerpräsidenten durften sie schon wählen. Aber in puncto Lebensmittelversorgung macht der nichts. Zur Wahl gabs einen Sack Kartoffeln, aber z.B. die Lebensmittelversorgung durch Lebensmittelkarten zu gewährleisten scheint Sacharchenko nicht in den Sinn zu kommen. Müßte er aber, wenn es eine Versorgung seitens Russlands gibt und die Lohn- und Rentenzahlungen aus Kyiv ausbleiben. Ich halte das nicht für Zufall. Du scheinbar auch nicht, wenn Du den Begriff Terrorzone für die Volksrepubliken verwendest.
Handrij hat geschrieben:Apropos Freiwillige: ein Teil der Spenden kommt natürlich auch nie bei den Soldaten bzw. am Bestimmungsort an.
Zurückkehrende Soldaten müssen zudem lange um die Anerkennung als ATO-Veteran kämpfen, ebenso die Angehörigen der Toten. Vermutlich machen das nicht alle und das reservierte Geld geht dann auch in diverse Taschen.
Da bin ich mir nie so ganz sicher, ob wir hier ein generelles Problem sehen oder ob wir von (mindestens) zwei unterschiedlichen Dingen ausgehen. Eher drei.
Zum einen tritt der Staat selbst als Geldgeber auf. Was logisch ist, denn der Staat rüstet die Armee auf und finanziert sie. Das heißt, es gibt Personen, die die Aufträge vergeben. Wenn man nun die postsowjetischen Strukturen kennt, ahnt man, daß an den entscheidenen Stellen Personen sitzen, die schon immer einen Teil dieser Gelder in die eigenen Taschen fließen läßt. Das ist in Russland und in der Ukraine gleichermaßen so. Ich denke, Du wirst es kennen. Es war einer der wichtigsten Ursachen für den Euromajdan (auch wenn das Feindfliegerchen glaubt, Biden und Soros seien die Hauptursachen...) und für die Revolution. Wir haben uns schon an anderer Stelle über dieses Thema unterhalten. Eine Änderung kann es nur langfristig geben. Kurzfristig kann man nur feststellen, daß der Beamtenapparat der Ukraine hohe Effizienz nur bei dem Wirtschaften in die eigene Tasche zu besitzen scheint. Die Bevölkerung selbst bringt dem Staatsapparat so gut wie kein Vertrauen entgegen. Die Soldaten selbst merken es ja auch daran, daß die Auszahlung ihres Soldes nicht immer so ganz reibungslos klappt...
Die ATO finanziert sich auch durch private Spenden. Für mich ist das eine der unglaublichsten Tatsachen, die ich immer wieder höre. Die Bevölkerung sammelt sehr fleißig, obwohl sie selbst wirklich nicht viel hat. Wie das Geld weitergeleitet wird, vermag ich nicht immer zu sagen. In Poltava finanziert diese private Hilfsorganisation unter anderem die Medikamente für verwundete Soldaten (ich selbst habe da auch schon einige Male gespendet). Der Vorteil: Spendenorganisation, Soldaten und Krankenhaus arbeiten ohne staatliche Stellen effektiv zusammen. Die Spendenorganisation kann geringere Preise bei höherer Stückzahl aushandeln. Diese Hilfsorganisation hat im letzten Sommer bereits Flüchtlingen geholfen. Die Stadt Poltava war dazu nicht in der Lage, die Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen und hat diese gleich zu der Organisation geschickt. Sie sammeln auch für Waffen und Ausrüstung, aber davon weiß ich zu wenig.
Dann gibt es noch die Oligarchen. Nur von den Spenden der Bevölkerung kann in der Ukraine keine Armee ausgerüstet werden. Wir wissen ja alle, wo das Geld in der Ukraine sitzt. Es wäre zwar moralisch wunderbar, freiwillige Militäteinheiten ohne die Oligarchen zu finanzieren, aber dann stünden die Separatisten vermutlich schon vor den Toren von Lviv. Das ist die bittere Realität in der Ukraine in den Jahren 2014/15.
Handrij hat geschrieben:Die Frontjungs sollen zudem ebenfalls einen
Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... ins Kernland entwickelt haben.
Die Freiwilligenjungs beschäftigen sich zudem in der jetzigen Situation auch gern mit Diebstahl und verdingen sich als Schlägertruppe bei Firmenübernahmen.
Auf der anderen Seite ist es das Gleiche. Die russische humanitäre Hilfe wird regelmäßig verkauft. Über Waffen und Munition, die die Russen liefern, kursieren ähnliche Geschichten über den Weiterverkauf an wen auch immer, von Schutzgeldern usw. ganz zu schweigen. Wie oben bereits beschrieben, gab es IMHO nie Spritmangel in der Zone und die Kohle ging auch an den Meistbietenden. Wer am Ende der Nahrungskette sitzt, ist schwer zu sagen. Die Namen Andrej Malofejew und Wiktor Nukensis fallen immer wieder, als Sponsoren für den Krieg. Sie werden sicherlich auch eine Rendite verlangen, auch wenn man ihnen einen Hang für die russische Welt nachsagt.
Zum ersten Absatz: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man sagen kann, dies sind die üblichen Begleiterscheinungen eines Krieges, der kaum nach den Regeln der Genfer Konventionen geführt wird. Ich würde einfach mal vermuten, diese sind vielen auch nicht bekannt. Ein Angehöriger einer Armee bekommt sie ausgehändigt. Mir sagte mal ein ATO-Soldat: Wird man von russischen Soldaten gefangengenommen, hat man Glück gehabt. Diese kennen diese Regeln halt. Wird man von Separatisten gefangengenommen, kommts drauf an. Zwangsarbeit, ggf. Arm abgehackt und wieder in die Ukraine zurückgeschickt etc. Also Willkür. Entweder kennen sie die Genfer Konventionen nicht oder es ist ihnen egal. Es ist für sie ein Volkskrieg und die Feinde müssen getötet oder gedemütigt werden. In der NZZ steht ein langer und interessanter Artikel über Russland. Und es macht den Eindruck, daß die Separatisten genau so auch mit Gefangene und Andersdenkende umgehen, wie es im Artikel beschrieben wird:
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Und dann gibts noch die tschetschenischen Krieger des Kadyrov. Wenn man von denen gefangengenommen wird, sollte man mit dem Leben abschließen.
Und auf ukrainischer Seite? Da weiß ich eh nicht so viel, aber ich gehe davon aus, daß sich in der Defensive kämpfende Truppen eh nicht so viele Gefangene nehmen. Nach meinen Infos werden gefangene Separatisten von den Nationalgarden an die Armee übergeben. Aber mit Verlaub: Da weiß ich sehr wenig darüber.
Was Du beschreibst, ist die Zeit zwischen den Kämpfen. Der Soldat selbst nimmt in der Regel selten an Kampfhandlungen teil. Das war nebenbei bemerkt auch schon z.B. im 2. Weltkrieg so. Das heißt: Zeit für ein eigenes "Business" ist allemal. Als die Sowjetarmee in der DDR abgezogen wurde, wurden nicht alle Waffen mitgenommen. Da hat so manch einer einen schwunghaften Handel betrieben. Ich habe mir von einem Wehrmachtsangehörigen, der für die Verpflegung zuständig war, berichten lassen, wie die ihre eigenen Soldaten verpflegt haben. Da wurde auch so manches krumme Geschäft getätigt oder "requiriert". Ein typisches Zeichen für eine nicht ausreichend versorgte Armee. Dann Schlägertrupps bei Firmenübernahmen. Da denke ich wird es zwei Varianten geben. Die eine: Bereicherung. Die andere: Selbstjustiz. Letzteres so nach dem Motto: Sonst würde der Fabrikbesitzer weiter seine Profite machen. Ich halte nicht viel von Selbstjustiz, aber das Vertrauen in die ukrainische Judikative ist auch eher gering...
Es gibt aber eine Sache, die mich in diesem Krieg klar Stellung nehmen läßt. Die propagierte Stimmung in Russland, die eine Existenz der Ukraine maximal duldet, wenn sie folgsam ist. Und selbst, wenn sich wirklich keine regulären Soldaten aus Russland im Donbas befinden sollten (was ich einfach nicht zu glauben vermag), so läßt Russland es zu bzw. fördert es sogar, daß Freiwillige in großer Zahl geworben und mit Waffen über die Grenze gehen dürfen. Ich würde gerne mal Feindfliegers Kommentare hören, wenn das die EU machen würde... Es ist einfach so: Die Ukraine kämpft zur Zeit um ihre Selbständigkeit und um die Unversehrtheit seiner Grenzen.