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Ralf Haska erlebte als Pfarrer der Kirche St. Katharina im Kyjiwer Zentrum die blutigen Auseinandersetzungen auf dem Majdan hautnah mit. In seinem persönlichen Rückblick schildert er enttäuschte Hoffnungen – und blickt dennoch mit Zuversicht nach vorne.
Wer immer auch krank war, bekam medizinische Hilfe. Kostenlos. Ärzte kümmerten sich um Junge wie Alte. Um Protestierende wie Wohnungslose. Ohne nach Bezahlung zu fragen. Wer immer auch hungrig war, fand irgendwo ein Feuer, an dem gekocht wurde und an dem er in der Runde der Speisenden herzlich willkommen war. Wer immer auch hungrig nach Wissen war, durfte sich kostenlos in der Bibliothek bedienen. Oder den Vorlesungen lauschen, die für alle offen waren.
Wer immer ein Problem hatte, das er selbst nicht lösen konnte, fand jemanden, der sich seiner annahm. Selbst Anwälte boten kostenlos ihre Dienste an. Wer immer einfach jemanden zum Reden brauchte, fand einen, der ihm gerne zuhörte unter den Tausenden, die singend und tanzend vor der Bühne standen oder in den Zelten zusammenkamen. Wer immer auch ein Gebet sprechen wollte, fand Möglichkeit in den provisorischen Kapellen.
Hoffnung auf Recht und Gerechtigkeit
„Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ So hat der alttestamentliche Prophet Amos die Worte und den Willen Gottes einmal vor vielen tausend Jahren ausgesprochen. Und wir spürten diese fließende Gerechtigkeit, den anschwellenden Bach von Recht. Wir alle hofften, dass er sich über das ganze Land ergieße.
Doch die Mächtigen ließen vorerst Blut fließen. Vor vier Jahren schossen sie in die unbewaffnete Menge. Gezielte Morde. Sie wollten, dass es aufhört. Dass die Hoffnung aufhört. Dass der Glaube an die eigene Kraft versiegt. Dass die Freude über die wiedergewonnene Würde versandet. Dass der Mut wieder sinkt. Dass der Gerechtigkeit und dem Recht dort auf dem Majdan wieder das Wasser abgedreht würde. Blut. So viel Blut floss.
Aber die Hoffnung auf die fließenden Bäche von Recht und die anschwellenden Flüsse der Gerechtigkeit ließ sich nicht mehr aufhalten. Hinweggespült wurden die, die meinten, mit Mord sich an der Macht halten zu können. Und man hoffte, dass viele Handlanger im Hintergrund das gleiche Schicksal erleiden: Hinweggetragen auf den Wellen von Recht und Gerechtigkeit. Versinken in der Bedeutungslosigkeit.
Das Bild einer hellen Zukunft ist trüb geworden
Vier Jahre nach der Revolution der Würde in der Ukraine ist das helle Bild, das sich viele für die Zukunft ausmalten, trübe geworden. Hier und da spürt man manchmal einen Spritzer aus dem Bach der Gerechtigkeit. Und manchmal auch einen Tropfen von Recht. Eine unserer Ärztinnen aus dem Lazarett unserer Kirche St. Katharina [die Kirche befindet sich unweit der Institutka-Straße, auf der es zu den größten Auseinandersetzungen kam, Anm. d. Red.] wurde stellvertretende Gesundheitsministerin. Doch auch sie vermochte wenig von der zementierten Korruption und Feigheit und vom Egoismus einzureißen.
Recht und Gerechtigkeit wird weiterhin behindert, umgeleitet oder bleibt den Reichen vorbehalten. Und viele, die an den Quellen des schmutzigen Geldes sitzen, das das schöne Land verunreinigt, hoffen, dass diese dunklen Quellen weiterhin sprudeln. Wenig wurde vom Wasser des Rechts hinweggespült. Viel von dem man hoffte, es loszuwerden, ist weiterhin da.
Sanktionen vermindern das Blutvergießen
Dazu bot der große Bruder-Nachbar nicht etwa seine Hilfe an, damit Recht und Gerechtigkeit das Land bewässern könne. Er setzte auf Blut und Krieg und Mord. Angst hat er vor dem Recht und der Gerechtigkeit. Angst davor, dass diese Bäche von Recht und Gerechtigkeit auch ins Nachbarland durchsickern könnten. Und so ergossen und ergießen sich Bäche von unschuldigem Blut über die Ukraine.
Manch einer versteht nicht, dass Dämme der Sanktionen gegen den großen Nachbarn notwendig sind. Diese Sanktionsdämme vermindern das Blutvergießen. Und sie helfen dabei einen kleinen Freiraum zu bilden, damit das Wasser von Recht und Gerechtigkeit seinen Lauf findet. Wer diese Dämme vorschnell abbauen will, wäscht seine Hände sicher nicht in Recht und Gerechtigkeit, sondern hat ganz schnell selbst Blut an den Händen.
Recht und Gerechtigkeit lassen sich nicht aufhalten
Bleibt nur die Resignation? Mitnichten! Das sicher noch kleine Rinnsal von Recht und Gerechtigkeit findet seine Wege. Das Wasser lässt sich nicht aufhalten. Freunde von überall auf der Welt helfen, die Dämme des Unrechts einzureißen. Freunde helfen, den Sumpf der Korruption trockenzulegen. Und es kommt die Zeit, da immer mehr und mehr Unrecht versinken wird im sauberen und lebensnotwendigen Wasser von Recht und Gerechtigkeit.
Die Hymne, die auf dem Maidan tausende Male zum Mutmachen, zum Trotz, für den Zusammenhalt, für die Liebe und zur Stärkung gesungen wurde, gilt auch heute:
Ще не вмерла України і слава, і воля. / Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben.
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Die Ukraine nach dem Majdan: Vier Jahre Hoffen
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