Gestern hatten wir das große Vergnügen, Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... live zu erleben. Im Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... fand eine Autorenlesung statt, wo er einen Auszug aus dem von ihm gerade erst herausgegebenen Buch Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... vortrug. Das Buch ist eine Sammlung von Texten verschiedener Autoren, die auch sehr unterschiedlich geartet sind - einige sehr persönlich, andere analytisch, aber alle eben zu diesen Monaten, in denen die Menschen in Kyiv auf dem Unabhängigkeitsplatz standen und schließlich Janukovytsch vertrieben.
Andruchowytsch las seinen eigenen Beitrag in diesem Buch vor - wie von ihm gewohnt ein Text mit Witz und Esprit und immer interessant. Ich muss sagen, dass sein Deutsch wirklich beeindruckend gut ist, auch das Vorlesen machte ihm überhaupt keine Mühe, und in der anschließenden Diskussion hatte er überhaupt keine Mühe.
Der Saal war leider nicht so ganz voll geworden, dazu war wohl auch das Wetter zu schön. Ungefähr die Hälfte des Auditoriums waren Ukrainer, die ich hier aus der Hamburger Diaspora alle mehr oder weniger gut kenne. Entsprechend war die Stimmung sehr pro-ukrainisch, was auch bei der Diskussion hinterher sehr deutlich wurde. Eine Dame war mit seiner Sicht der Dinge jedoch nicht so richtig einverstanden und bestand auf der Aussage, dass in der Ukraine amerikanische Söldner seien und die ukrainische Armee im Donbass die Zivilbevölkerung bombardiere. Das gab natürlich eine starke Reaktion im Rest-Auditorium, und Andruchowytsch erklärte ihr, dass diese Dinge gewiss nicht wahr seien, er ja auch in allen Teilen des Landes seine Bekannten und Freunde haben, die ihn aus erster Hand informierten, was gerade los sei. Das beeindruckte die Dame aber nicht, und sie erklärte recht erregt, sie wisse das nun einmal, was natürlich noch etwas genervtere Reaktionen hervorbrachte. Es war in meinen Augen ein ziemlich gutes Beispiel dafür, wie im politischen Diskurs zum Thema Ukraine in Deutschland eine ganze Reihe Menschen (meist aus der politisch eher linken Ecke), ohne das Land je persönlich erlebt zu haben, ohne die Sprache zu kennen, ohne sich vielleicht mal von Ukrainern selber informiert zu haben, aufgrund von Publikationen, die möglicherweise ideologisch gut in ihr jeweiliges Denkschema passen, Leute wirklich überzeugt sind, die Wahrheit zu kennen - egal was diejenigen sagen, die viel näher am Geschehen oder sogar selber betroffen sind. Es ist schon deprimierend. Unsere Dame ging dann irgendwann genervt aus dem Saal, und wir diskutierten weiter.
Interessant fand ich auch, wie gut Andruchowytsch (und, das ging aus seinen Worten hervor, auch andere Ukrainer) über den politischen Diskurs im Ausland informiert sind. Er selber lehrt ja gerade für ein paar Monate als Gastdozent in Berlin, aber andere sind ja nun noch in der Heimat. Die Enttäuschung darüber, dass es nur sehr schwache Solidarität von hier gibt, dass sogar erhebliche Strömungen in der Öffentlichkeit dazu neigen, der Ukraine selber die Schuld für das Geschehene zu geben, dass Menschen sich weigern zu sehen, wer dort all das Unheil anrichtet, ist doch sehr groß und sollte aus meiner Sicht für uns alle ein Grund sein, jeder für sich immer wieder seinen Anteil zu leisten - ob wir uns mit Kollegen unterhalten oder in den sozialen Netzen einfach mal dagegen halten, wenn die Trolls wieder unterwegs sind, einfach Flagge zeigen.
Am Ende gab es noch ein paar Glas Wein und Signierstunde, dabei noch nette Gespräche mit dem Gast des Abends. Es war wirklich ein absoluter Höhepunkt des bisherigen Jahres.
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- mbert
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Autorenlesung mit Jurij Andruchovytsch gestern im Nochtspeicher, Hamburg
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Re: Autorenlesung mit Jurij Andruchovytsch gestern im Nochtspeicher, Hamburg
Hab das Buch auf meinem Tisch vorgefunden, als ich zu Hause ankam. Genauso wie "Putins Demokratur" von Boris Reitschuster. So hab ich genug Urlaubslektüre und bin auch ohne Inet bei euch.
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Re: Autorenlesung mit Jurij Andruchovytsch gestern im Nochtspeicher, Hamburg
Eine Lesung mit Jurij Andruchovich. Ich habe ihn 2003 im Club der Polnischen Versager Nur eingeloggte Mitglieder sehen alle Links ... in Berlin bei einer Lesung erlebt. Es war die witzigste Lesung, die ich je erlebt habe. Jurij las sein Werk auf Ukrainisch, dann wurde es auf Polnisch übersetzt und anschließend auf Deutsch. Immer in Etappen. Andruchovich beherrscht alle drei Sprachen sehr gut, aber die Übersetzungen lasen andere vor. Zwischendurch gab es eine größere Etappe, da ihm ein gutes Mahl selbstgekochten Borshch serviert wurde. Der Borshch muß sehr gut gewesen sein. Nach einer weiteren längeren Etappe bekam er einen zweiten Teller...
Die ganze Lesung wirkte wie ein Familienfest. Viele kannten sich untereinander. So wurde auch nach der Lesung munter drauflosgequatscht. Damals gab es weniger politische Themen. Nur eines: Polen mußte die Visa-Pflicht für Ukrainer einführen. Ich konnte mit ihm ein paar Takte über Musik reden. Ihm mißfiel es, daß (ich glaube) Mertvij Piven seine Texte vertont hat, weshalb er in seinen neueren Gedichten einen anderen Rhythmus in den Gedichten verwendet hat. Damals plante er schon Musikprojekte. Er ist ja ein großer Musikliebhaber. Schade nur, daß ich damals noch nicht viel über ukrainische Musik wußte.
Wer Andruchovich mal live mit der polnischen Jazzband Karbido sehen will - hier gibts ein 95minütiges Konzert zu sehen (zusammen haben sie 2006 die CD "Samagon" aufgenommen):
Aber Vorsicht. Das ist experimenteller Jazz. Vielleicht nicht jedermanns Sache.
Ach ja - eine Person fühlte sich in der ganzen Umgebung sichtlich unwohl. Das war glaube ich eine SPIEGEL-Redakteurin, die mit der familiären Stimmung wohl nicht so richtig klar kam. Für sie mußte wohl eine Lesung immer was feierlich-elitäres haben. Und Andruchovich mag es nun einmal eher natürlich.
Die ganze Lesung wirkte wie ein Familienfest. Viele kannten sich untereinander. So wurde auch nach der Lesung munter drauflosgequatscht. Damals gab es weniger politische Themen. Nur eines: Polen mußte die Visa-Pflicht für Ukrainer einführen. Ich konnte mit ihm ein paar Takte über Musik reden. Ihm mißfiel es, daß (ich glaube) Mertvij Piven seine Texte vertont hat, weshalb er in seinen neueren Gedichten einen anderen Rhythmus in den Gedichten verwendet hat. Damals plante er schon Musikprojekte. Er ist ja ein großer Musikliebhaber. Schade nur, daß ich damals noch nicht viel über ukrainische Musik wußte.
Wer Andruchovich mal live mit der polnischen Jazzband Karbido sehen will - hier gibts ein 95minütiges Konzert zu sehen (zusammen haben sie 2006 die CD "Samagon" aufgenommen):
Aber Vorsicht. Das ist experimenteller Jazz. Vielleicht nicht jedermanns Sache.
Ach ja - eine Person fühlte sich in der ganzen Umgebung sichtlich unwohl. Das war glaube ich eine SPIEGEL-Redakteurin, die mit der familiären Stimmung wohl nicht so richtig klar kam. Für sie mußte wohl eine Lesung immer was feierlich-elitäres haben. Und Andruchovich mag es nun einmal eher natürlich.
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- mbert
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Re: Autorenlesung mit Jurij Andruchovytsch gestern im Nochtspeicher, Hamburg
Also Andruchowytsch hatte sicher nichts dagegen, dass Mertvyj Piven seine Texte vertont haben, er hat sogar explizit für die Texte geschrieben. Das hier ist übrigens auch von ihm, ist mein Lieblingslied (und -Video!) von den toten Hähnen:
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Re: Autorenlesung mit Jurij Andruchovytsch gestern im Nochtspeicher, Hamburg
Das habe ich 2003 anders in Erinnerung gehabt... Aber zum einen gibts keine ewigen Gewißheiten, zum anderen kann es auch nur eine Momentaufnahme gewesen sein.
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