Bernd D-UA hat geschrieben: ↑Dienstag 26. Januar 2021, 09:51
Hallo, grundsätzlich liegen wohl regionale Unterscheide vor, auch glaube ich mit meiner Aussage nicht gänzlich falsch zu liegen, dass in der Westukraine die ukrainische Sprache überwiegt und je weiter man nach Osten kommt dann die russische Sprache überwiegend gesprochen wird. Dann darf man auch nicht vergessen, das Menschen in der Sowjetunion in jedem Falle russisch erlernt haben in der Schule. Daher sprechen schon aus diesem Grunde noch sehr viele Menschen, wie ich denke die überwiegende Mehrheit, die russische Sprache.
Das ist in der Form vielleicht statistisch richtig, wird aber der Situation dennoch nicht gerecht. Russifiziert sind vor alle die Städte. Das ist ein Phänomen, das seit dem 18. Jh. zugenommen hat. In den Städten lebt, aufs Gesamtgebiet betrachtet, die größte Zahl Menschen. Auf dem Land, das geographisch natürlich größer ist, wird weiter ukrainisch gesprochen. Und, siehe mein Beitrag von gestern, zusätzlich herrscht ein gewisser Druck, in der Stadt russisch zu sprechen, selbst wenn Du es zu hause nicht tust.
Dass dieser Effekt im Süden, Osten und Zentralosten stärker ist als im Rest, ist richtig, ändert aber nichts an der Tatsache. Ich habe letztes Jahr für meine Sportseite ein Interview mit dem damaligen Trainer von Karpaty Lviv, Roman Sanzhar, gemacht, der aus dem Donetsker Gebiet stammt. Der erklärte folgendes:
Als Kind habe ich Ukrainisch gesprochen. In der Nähe von Donezk gibt es so ein Dorf, Olenivka, wo ich immer den ganzen Sommer mit meinen Großeltern verbrachte, und die sprachen Ukrainisch. Aber nachdem sie nicht mehr da waren, fehlte mir die Übung, weil in Donezk und nicht nur da hauptsächlich Russisch gesprochen wurde. Als ich zu Karpaty kam und sozusagen zur Kommunikation auf ukrainisch zurückkehrte, hatte ich am Anfang Probleme, weil ich viele Wörter vergessen hatte, und auch in den Wörterbüchern neue Wörter und Phrasen dazugekommen waren, aber jetzt habe ich habe mich schon daran gewöhnt, und alles ist in Ordnung.
Früher gab es in der Region Donezk überhaupt keine Probleme mit der Sprache. In Donezk selbst sprechen die meisten Menschen Russisch, aber in den Dörfern im Umland sprechen sehr viele Menschen Ukrainisch. Niemand achtete darauf, es gab keine Probleme.
Quelle:
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Er gab mir das Interview in russisch, weil er, seit er nicht mehr auf dem Dorf lebt, praktisch kein ukrainisch mehr gesprochen und sein Fachvokabular als Fußballtrainer eben auch in russisch gelernt hatte.
Ähnliches erzählt übrigens auch der Schriftsteller Serhij Zhadan, der auch aus dem Donbass stammt. Er hat sich als Erwachsener dann entschieden, sich wieder neu zu "ukrainisieren".
Nun gibt es die politischen Bestrebungen dies zu unterbinden, ich kann das verstehen, man möchte sich abnabeln und eine eigene selbstständige sprachliche Identität schaffen und es liegen bei Einigen auch grundlegende nationalistische Bestrebungen im Vordergrund, letzteres finde ich falsch. Meiner Meinung nach sollte die russische Sprache gleichberechtigt erhalten bleiben, ich empfinde es als diskriminierend es nicht zu tun. Auch halte ich eine kulturelle und sprachliche Vielfalt für wertvoll. Man sollte eben nicht die Diskussion führen, wer welche Sprache spricht, sondern viel mehr über die Dinge die einen vereinen und eine gemeinsame Identität stiften. Eine Demokratie hält dies aus und weil sie das aushält, kann man darüber auch trefflich diskutieren. Ich empfinde es jedenfalls als positiv, dass dieses Thema in der Ukraine frei angesprochen und diskutiert werden kann, in vielen Ländern ist sowas nicht möglich, ich frage mich ob es in Russland oder Weißrussland in diesem Maße stattfinden kann?
Ich selber sehe das neue Sprachgesetz auch kritisch, aber ich verstehe auch, warum viele Menschen dafür eine Notwendigkeit sehen (es ist ja nicht so, dass es im Land besonders umstritten wäre). Kritisch sehe ich es, weil Zuckerbrot immer wirksamer ist als Peitsche, also das Schaffen von Anreizen am Ende eine weit bessere Idee wäre.
Ich verstehe aber auch den Schmerzdruck, der zu solchen Regelungen führt. Ich will mich nicht wiederholen, ich habe oben ja schon geschrieben, welche Wirkung die Russifizierung hatte. Ein Problem, das die Ukraine bereits zu Anfang hatte, war, dass es praktisch keine ukrainischsprachigen Medienerzeugnisse gab, weil - kaufmännisch vernünftig - "global" gedacht wurde: wozu eine ukrainische Version einees Buchs produzieren, wenn alle das russisch lesen können und man es so auch im Ausland verkaufen kann? Hinzu kommt, dass ukrainisch systematisch als "Dorfsprache" abgewertet wurde. Es gab lange die Situation, dass man in der Ukraine an der Mehrzahl der Universitäten nicht auf ukrainisch studieren konnte.
Die russische Sprache hat im Alltag immer noch einen viel höheren Anteil, als sie in der Ukraine Muttersprachler hat. Dieses Ungleichgewicht loszuwerden, ist durchaus Aufgabe der Politik. Man muss sehen, wie das gehen soll.
Eine Gleichberechtigung der Sprachen wäre bereits demographisch reiner Unsinn. Regionale Regelungen waren in der Vergangenheit eher ein Vehikel, um im Osten und Süden den Leuten das Lernen der ukrainischen Sprache zu "ersparen" (was wieder hieß, dass die ukrainischsprachige Bevölkerung in diesen Gebieten benachteiligt war).
Wie gesagt, ich persönlich würde eine Politik, die auf Anreizen beruht, bevorzugen. Leider fehlt dafür aktuell in der Ukraine immer noch die politische Kultur. Man ist es gewöhnt, mit Zwang zu regieren, und das wird man so bald auch nicht aus den Köpfen herauskriegen.
Es genügt nicht, nur keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken!