Siggi hat geschrieben:mbert hat geschrieben:Fazit: Der Begriff "Besatzer" ist nichts, worüber man sich aufregen muss. Er steht für einen historischen Sachverhalt.
Willst Du damit sagen, dass der Großteil der Ukraine also seit hunderten von Jahren von den Russen besetzt wurde?
Nein, ich bezog mich auf die Westukraine.
Siggi hat geschrieben:
Ich kann Dir versichern, wenn ich das hier im Osten von Besatzern rede, dann lachen mich die Leute aus. Das ist einfach nicht das Selbverständnis der Ukrainer im Süden und Osten.
Die Jahrhunderte seit Peter dem Großen wird von Intellektuellen oft als "Kolonialisierung" bezeichnet. Den Begriff finde ich historisch angemessen und hinreichend präzis. Der Anschluss an das russische Reich unter Khmelnytskyj war zwar freiwillig, doch wurde der Vertrag später von russischer Seite noch einmal neu mit dessen Sohn "überarbeitet", wo dann die Konditionen schon weit weniger vorteilhaft für die Ukraine waren. Spätestens unter Peter und noch in größerem Maße unter Katharina wurde aber auch auf diese Verträge überhaupt keine Rücksicht mehr genommen, den Ukrainern jede Selbstbestimmung entzogen, die dann in den Jahrhunderten danach zunehmend russifiziert wurden. Ideologisch wurde das ganze durch die Bezeichnung "Kleinrussland" für die Ukraine verbrämt, was den Eindruck erwecken sollte, die Ukraine sei ein natürlicher Bestandteil des russischen Reichs. In Wirklichkeit ging es um strategisch wichtige Wege für Handel und Militär sowie - in noch größerem Maße - um die Ausbeutung des Landes.
Im Süden der Ukraine wurden unter russischer Herrschaft Russen angesiedelt, wobei die die die dort beheimateten Tartaren mit Gewalt verdrängt wurden. Der Osten der Ukraine wurde ebenfalls über Jahrhunderte mit Russen besiedelt. Heute haben wir eine Situation, dass die Ukrainer in diesen Gebieten Produkt eben jener Ansiedlungs- und Russifizierungs-Politik sind. Das ist nicht deren Schuld, und man muss sie auch nicht "bekehren", es erklärt aber, warum sie zu Russland eine andere Einstellung haben als Ukrainer aus anderen Gebieten. Das ändert aber nichts an den historischen Tatsachen.
Siggi hat geschrieben:
Aber daraus heutzutage noch Rechtfertigungen abzuleiten, das geht mir schon sehr in Richtung Revanchismus. So etwas kann schnell wieder die idiologische Grundlage eines neuen Krieges bilden. Genauso wie Deutschland und Polen es gelernt hat mit den Konsequenzen des WK II fertig zu werden, müssen es auch die Ukrainer und zwar alle Teile.
Es geht nicht um Rechtfertigungen. Ich selber, wie auch die meisten gebildeten Ukrainer sind gegen das, was die Svoboda-Leute in Galizien veranstalten. Die Abneigung gegen Russland und alles russisch sprechende sind durch die Geschichte und das kollektive Gedächtnis der Menschen in jenen Gebieten
erklärbar, nicht mehr und nicht weniger. Wir alle wissen, dass das abgebaut werden muss. Als russisch sprechender musst Du in Galizien nicht mehr befürchten, von hinten erschossen zu werden, und Du kannst dort ganz normal leben (in jeder größeren westukrainischen Stadt hörst Du reichlich russisch).
Um sich aber wirklich gut zu verstehen, bedarf es der Mithilfe
beider Seiten. Und die Westukrainer, die ziemlich leiden mussten, haben aus meiner Sicht in ihrer Forderung absolut recht, dass Russland ihnen ruhig ein wenig entgegen kommen könnte. Ein guter Start wäre es, ganz einfach nur anzuerkennen, was damals passierte. Dass Russland das nicht tut, kann mit nationalem Stolz zu tun haben. Es wird aber von vielen auch so interpretiert, dass Russland eigentlich den Anspruch, die Ukraine als Teil Russlands zu beherrschen, nie aufgegeben hat. Das jetzt hier zu schreiben, ist ja schon für viele nicht mehr politisch korrekt, weil es "russlandfeindlich" ist. Ich sehe das nicht so. Wenn Russland mit seinen Nachbarn, wie z.B. dem Baltikum, Polen und eben auch der Ukraine, wahrhaft freundschaftliche Beziehungen haben will, muss es auch mal ein wenig über seinen Schatten springen. Immer nur zu verlangen, dass alle Respekt für Russland haben sollen und mit dem Finger auf angeblichen und tatsächlichen Faschismus in den Nachbarländern zu zeigen, ist der Sache nicht dienlich. Wenn das Ergebnis Ablehnung ist, liegt die Schuld
nicht nur bei den anderen.
Es genügt nicht, nur keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken!