Optimist hat geschrieben:Man munkelt hier in der Ukraine, dass der Angriff der Russen auf die Ukraine in den nächsten 2 Tagen stattfindet. Auch an den Nordgrenzen starkes Aufgebot von russischen Einheiten. Wenn ein Angriff kommt wird man die gesamte Ukraine besetzen, so denken die Menschen hier nördlich von Kiew.
Danach gibt es wieder eine Abstimmung in der UN, ja aber was hilft das? Russland wird dann wieder namentlich nicht genannt .... Kindergarten, so könnte man meinen.
Vom Gefühl geht es mir ebenso, vom Kopf her sehe ich es aber anders. Natürlich wäre es mir auch lieber, wenn 175 abgestimmt hätten, daß Rußland nunmehr ein Schurkenstaat ist und Putin ein Verbrecher. Aber in der internationalen Politik existier ähnlich wie bei Arbeitszeugnissen eine eigene Sprache. An dieser Realität orientiert, war das ein sehr deutliches Votum. Für Rußland haben ausnahmslos äußerst fragwürdige Systeme gestimmt. Nordkorea, Sudan, Syrien u.a. als meine Bündnisgenossen zu haben, ist schon eine Schmach. Selbst China hält sich raus, und das ist schon enorm viel. Ein so deutliches Votum gab es äußerst selten. Da Putin ja schon fast krankhaft auf sein Ansehen bedacht ist, ist das nicht zu unterschätzen. Vor allem sind es erheblich mehr Ja-Stimmen, als ich jemals vermutet hätte.
Es wird ebenso seine Auswirkungen haben, wie die angeblich seichten Sanktionen. Wenn Rußland bereits eine eigene Kreditkarte auflegen will, so kommt das nicht von ohne. Ich glaube kaum, daß seine Putincard im Westen akzeptiert wird. Also müssen die, die reisen wollen und noch dürfen, zukünftig mindestens zwei völlig unterschiedliche Karten haben. Die bisherige Kapitalflucht ist auch nicht gerade aus der Portokasse zu tragen. Das er zukünftig Gaskunden verliert, zeichnet sich ebenfalls ab. Die Krim über Wasser zu halten, ist ebenfalls nicht ganz billig. Es kommt also der Zeitpunkt, wo die Stimmung umschlägt. Bisher war der Westen oft zögerlich, aber den längeren Atem hat er (fast) immer bewiesen. Und das alles ist nur ein kurzer Abriß.
Hätte man sofort alle Munition verpulvert (also sämtliche Sanktionen sofort beschlossen), dann wäre es eben passiert und dann hätte Putin auch in die Ukraine einmarschieren können, weil eh nichts mehr zu verlieren ist. Ein paar Ländereien hätte ergleich noch mitnehmen können. So aber weiß er immer noch, daß es Folgerechnungen geben kann, die noch teurer werden.
Putin ist ein berechnender Stratege. Ich vermute, daß er sich ein wenig verkalkuliert hat und nicht mit der Geschlossenheit gerechnet hat. Es kann natürlich sein, daß eine gewisse Portion Wahnsinn ebenfalls bei ihm mit dabei ist. Da dazu aber keiner eine eindeutige Diagnose stellen kann, ist jede Entscheidung besonders schwer.
Ja, es kann sein, daß die Ukraine demnächst überfallen wird. Das weiß keiner. Ich bin in Westdeutschland groß geworden zu einer Zeit, wo mir klar war, daß im Falle eines Konflikts meine Heimat so nicht mehr existiert hätte. Die Sowjetischen Truppen Ständen in wenigen Stunden am Rhein. Die NATO-Planspiele haben das immer einkalkuliert. Daß es zum Glück nie dazugekommen ist, haben wir auch der Sorte Politiker zu verdanken, die wußten, daß man verhandeln muß, wenn auch oft genug mit der geballten Faust in der Tasche.
Ich habe allerdings den Eindruck, daß ein wenig auch Kriegshysterie betrieben wird. Kann ich sogar verstehen, es mobilisiert die eigenen Leute und damit kann man den Westen zu mehr Hilfe bewegen. Die Meldungen über die russischen Truppenbewegungen sind höchst unterschiedlich. Propagandakrieg wird auf allen Seiten betrieben, da sollten wir uns nichts vormachen, es ist auch verständlich und normal. Ich will die Bedrohung nicht schön reden, sie ist da und man muß mit dem Schlimmsten rechnen. Dennoch sollte man für sich selbst versuchen, die Sache möglichst nüchtern zu sehen.
Richtig wütend machen mich zwei andere Dinge:
1) Spätestens nach Georgien hätte die NATO gewarnt sein müssen. Zum einen wegen der Bedrohung durch die Putindoktrin und zum anderen im Erkennen der eigenen Handlungsunfähigkeit. Die russische Armee ist letztlich trotz der hohen Militärausgaben ein Schrotthaufen, schlecht bezahlte und ausgebildete Soldaten. Die NATO ist technisch trotz vieler Einsparungen einwandfrei überlegen und die Soldaten sind ebenfalls erheblich besser ausgebildet. Und offensichtlich ist es den Militärstrategen nicht in den Kopf gekommen, andere Strategien zu entwickeln, als mit fast herkömlichen Methoden (+ etwas Technik) den Irak o.ä. "platt zu machen". Mit der Krim hat Putin gezeigt, daß es ganz andere Strategieen geben könnte. Und die NSA hat vermutlich zu viel Muttis Telefonaten gelauscht, daß niemand vorher etwas mitbekommen haben will. Schön, wenn man so viel Technik hat, sie aber nicht auch richtig einsetzt.
2) Noch viel schlimmer finde ich die westlichen Wohlstandsbürger, die sich mehr Sorgen um 10% Spritpreiserhöhung machen. Mehrheitlich sind diese Leute nicht bereit, für Ideale (haben die sie überhaupt noch?) auch Opfer zu bringen. Und das ist nicht das Ergebnis böser Putin-Propaganda, sondern wirklich ausschließlich eigene Raffgier und Bequemlichkeit.
Trotz allem sehe ich die Sache nicht nur skeptisch. Die Bevölkerung in der Ukraine ist toll. Habe ich mich noch vor wenigen Monaten über deren politische Gleichgültigkeit und Lethargie aufregen können, stehen sie jetzt eng zusammen und bringen Opfer. Und ein wenig passiert ja auch etwas in der EU, selbst wenn sich die Krise demnächst legt, Rußland bleibt als nichtvertrauenswürdiger Vertragspartner auf lange Zeit gebrandmarkt. Und wenn die lohnende Geschäfte auch woanders gemacht werden können, dann spielt auch die Wirtschaft da mit. Wieviel Gas-Schiffe müssen gebaut werden? Die Werftindustrie rechnet schon